Ghanas Regierung ist nicht untätig. 26,7 Prozent der Haushaltsmittel investierte der Staat im Jahr 2009 ins Bildung- und Gesundheitswesen. Das Umdenken in der Politik und der Einsatz internationaler Hilfskräfte verbessere die Lage dort zunehmend. Über ein freiwilliges und soziales Engagement einer Wanfriederin in Begoro.
Katharina Scheer sitzt vor ihrem Laptop. Sie sieht sich gern die Fotos an, die sie während ihrer Zeit in Afrika gemacht hat. Vor drei Wochen war sie noch in Begoro, einer Kleinstadt Ghanas. In einem Rehabilitationszentrum für benachteiligte Kinder und Jugendliche hatte die 20-Jährige ein ganzes Jahr verbracht und ihre Hilfe angeboten. Über den Evangelischen Entwicklungsdienst e. V. wurde sie auf das Progamm aufmerksam. Gefördert wurde ihr freiwilliges Jahr in Afrika durch das weltwärts-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nach Abitur und Abschlusspartys, packte sie ihre Sachen und flog nach Ghana. Aus dem grünen Spätsommer Deutschlands ging es in die trocken-staubige Winterhitze Afrikas. Dort erlebte sie ein Jahr, das anders war, als alles, was sie zuvor erlebt hatte.
Am 15. August 2010 kam sie in Begoro, in der Nähe der Hauptstadt Accra, an. „50 Internats- und Tagesschüler, die meisten von ihnen körperlich behindert, werden da unterrichtet“, sagte sie. Auf dem Hof der Salvation Army gibt es eine Schaukel und zwei kleine verrostete Kinderspielgeräte. Aber was für deutsche Verhältnisse traurig aussieht, sei für die ghanaischen Kinder eine große Freude. Sie spielen gern draußen, toben herum und müssen dann aber auch lange Ruhezeiten haben. Mehr als 20 Krankenschwestern arbeiten mit den benachteiligten Kindern und Jugendlichen aus allen gesellschaftlichen Schichten, bieten physiotherapeutische Maßnahmen und kreative Förderung. „Viele haben körperliche Schäden durch Mangelernährung, zu wenig Eisweiß, dafür zu viele Kohlenhydrate“, so Katharina. Diese Kinder finden im Reha-Zentrum für Tage, Wochen oder viele Jahre Hilfe. „Da wird jede Hand gebraucht“, erzählte die 20-Jährige, die in der Betreuung mit den Schülern gespielt, gesungen oder gemalt hat. Von morgens um acht bis nachmittags um 16 Uhr ging ihr Dienst. Manchmal übernahm sie organisatorische Arbeit am Computer oder half auch mal in der Küche aus.
„Im September habe ich Kofi kennen gelernt“, erzählte sie, während sie die Fotos von Kofi auf dem Bildschirm ansieht. Von Geburt an habe er zerebrale Lähmung und sei seit zwölf Jahren im kirchlich geführten Rehabilitationszentrum der „Salvation Army“, der Heilsarmee, in Begoro. Seine Arme und Hände tun nicht das, was sie sollen. „Beim Essen braucht er Hilfe, zum Gehen benutzt er eine spezielle Gehhilfe, in der Schule schreiben seine Mitschüler für ihn mit“, sagte Katharina. Und er malt gern. Sein Talent dazu wurde im Internat entdeckt und gefördert, er bekam Acrylfarben und spezielle Pinsel geschenkt. „Man klemmt ihm den Pinsel zwischen seine Vorderzähne, dann führt er ihn zur Farbe, dann zur Leinwand, alles mit dem Kopf“, erzählte Katharina und zeigte das Gemälde, dass er ihr zum Abschied geschenkt hat. Die Arbeit mit Kofi habe ihr großen Spaß gemacht. Einen Menschen zu sehen, wie er aufgrund der Möglichkeit, zur Schule zu gehen und am Nachmittag ein Bild zu malen, so glücklich sein kann, habe ihr gezeigt, wie wichtig derlei Hilfsprojekte sind.
„Ich werde ab Oktober Medizin studieren“, sagte die 20-Jährige. Nach dem Abitur im letzten Jahr hätte sie ihr Studium beginnen können, entschied sich aber erst einmal für das Jahr in Ghana. „Bei der Internetrecherche über Auslandsprojekte stieß ich beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) auf das Reha-Zentrum in Begoro“, erzählte Katharina. Danach habe sie sich bei weltwärts, dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe (BMZ) in Bonn für die Förderung ihres Freiwilligendienstes beworben. Nach ihrer einer Motivationserklärung und einem Lebenslauf bekam sie die Einladung zum Vorstellungsseminar in Bonn. Von etwa 80 Seminarteilnehmern wurden 36 ausgesucht. Katharina war dabei.
Beim Vorbereitungsseminar sagte man ihr, dass es kleine Arbeiten sind, die Freiwillige übernehmen könnten, erzählte Katharina. Und so war das Zusehen anfangs das Einzige, was sie tun konnte. Katharina hat genau hingesehen, erkannte, dass gerade Kinder mit körperlichem Handicap erstaunliche Leistungen vollbringen. Diese Kinder weiter zu bringen und zu motivieren, sei ihr nicht schwer gefallen. Mit Kofi habe sie Farben gemischt und Techniken besprochen, jeden noch so kleinen Fortschritt habe sie bei ihm gesehen. „Jetzt kann er ziemlich genau mit dem Pinsel treffen, gerade Linien malen, auch sehr kleine“, sagte sie. Vor allem habe er gelernt, dass ein Bild Zeit braucht.
Katharina wohnte ein paar Minuten von der Einrichtung entfernt. An den Wochenenden und den 24 Urlaubstagen traf sie sich mit vier weiteren Freiwilligen aus Deutschland, reiste mit ihnen durchs Land, sahen Elefanten, Gazellen und Krokodile. „Afrikaromantik“ nannte sie das. Aber ihr Interesse liegt bei den Menschen und den internationalen Hilfsprojekten. Ihr Aufenthalt in diesem Land habe sie in ihrer Meinung über die Bedeutung weltweiter sozialer Projekte und Netzwerke bestärkt. „Wir müssen uns alle gemeinsam kümmern“, sagte sie, auch kleine Aufgaben wirken sich aus.
In Kürze beginnt für Katharina die Studienzeit. Den Kontakt zum Reha-Zentrum hält sie und hofft, dass sie während des Studiums weitere Auslandsaufenthalte machen kann. Auf jeden Fall will sie noch mal nach Begoro. Vielleicht später als Ärztin. „Die Kinder waren voller Energie, davon hab ich was abgekriegt“, sagte sie. Doch für diese Kinder hänge alles von der weiteren Förderung und auch von Spendengeldern ab. „Wenn sie Leute haben, die sie unterstützen, haben viele gute Chancen“, sagte Katharina. Einen Beweis dafür hält sie in den Händen. Zum Abschied schenkte Kofi ihr ein mundgemaltes Bild, mit den Farben Afrikas, wie er sie mischt.
Info:
Die Teilnahme an weltwärts-Projekten wird mit bis zu 580 Euro pro Monat, jedoch maximal bis zu 75 Prozent der Gesamtkosten durch das BMZ gefördert. Anreise, Betreuung, Versicherungsschutz, Verpflegung und ein Taschengeld in Höhe von mindestens 100 Euro werden laut Auskunft auf der Internetseite finanziert. Seit 2008 bewerben sich jährlich etwa 10.000 junge Menschen für Projekte von 241 anerkannten Entsendeorganisationen. Im Jahr 2010 reisten 4.288 Freiwillige über weltwärts in die Entsendegebiete. Dennoch brachen mehr als 60 Prozent ihren Freiwilligendienst frühzeitig ab.